AstraZeneca braucht „Impf-Fluencer“ und Angela Merkel

26. Mrz 2021 | Handelsblatt, Presse-Publikation

AstraZeneca

Die Marke AstraZeneca hat ein Vertrauensproblem. Genau genommen sind es ursächlich gleich mehrere. Umfragen zeigten zuletzt, dass nur noch 32 Prozent der Bundesbürger den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers als sicher erachten. Das ist nicht nur ein Imageproblem, sondern ein Problem, was die gesamte europäische Impfkampagne bedroht. Bei AstraZeneca kommen gleich mehrere Faktoren zusammen, die das Vertrauen in den Pandemie-Hoffnungsträger erschüttern: Erst die Empfehlung, den Impfstoff nicht für Menschen über 65 Jahren zuzulassen. Dann die Diskussion um nicht eingehaltene Lieferversprechen und Zweifel an der Wirksamkeit. Zuletzt die Thrombosefälle, die zu einem kurzfristigen Verimpfungsstopp geführt haben.
Kann es bei solchen Vorzeichen überhaupt eine Erholung der Marke geben? Christopher Spall erläutert im Interview vier entscheidende Faktoren, wie AstraZeneca das Ruder herumreißen kann.

Christopher Spall im Interview mit dem HANDELSBLATT / 26. März 2021

Herr Spall, der Pharmakonzern AstraZeneca ist mit seinem Corona-Impfstoff praktisch über Nacht zur Weltmarke geworden. Und genauso schnell scheint diese Marke jetzt schon irreparabel beschädigt. Wie kommt man aus dieser Situation wieder raus?

Es braucht große Anstrengungen, von verschiedenen Seiten. Eine Marke lebt von Vertrauen. Vertrauen bildet sich mit der Zeit, mit selbst gemachten Erfahrungen oder über Erfahrungen anderer. Bei AstraZeneca haben wir das Problem, das dieses Vertrauen gleich vierfach geschwächt worden ist.

Sie meinen zum einen Entscheidung der StiKo, das Mittel nur für jüngere Menschen zu empfehlen, dann den Streit um die Lieferschwierigkeiten – mitsamt den nun überraschend entdeckten 30 Millionen Impfdosen, wie womöglich für den Export nach Großbritannien gedacht waren…

Es stellte sich die Frage: Wie verlässlich ist das Unternehmen? Wenn sie bei der Lieferung unzuverlässig sind, wie sieht es mit der Wirkung aus?

Und die Zweifel an der Wirksamkeit kamen tatsächlich…

Das hat als dritter Faktor das Vertrauen in die Marke beschädigt. Punkt vier waren die Untersuchungen der sehr vereinzelt aufgetretenen Thrombosefälle und die Impfpause. Das war der KO-Schlag. Das Vertrauen in den Impfstoff ist am Boden. Und die Glaubwürdigkeit der Marke auch. Warum? Weil kein Mensch weiß, wer AstraZeneca überhaupt ist.

Während nur rund ein Drittel der Deutschen laut einer Civey-Umfrage das Mittel von AstraZeneca für sich hält, vertrauen rund zwei Drittel der Befragten dem Impfstoff von Biontech. Liegt das nur an der Berichterstattung?

Bei Biontech habe ich zwei Gesichter vor Augen. Ich habe direkt das Gefühl, ich kenne die Marke ein wenig. Über Ugur Sahin weiß ich, dass er mit einem alten Mountainbike zur Arbeit fährt. Doch was weiß ich über den CEO von AstraZeneca? Für was steht das Unternehmen? Wenn ich kein Gesicht vor Augen habe, wenn ich nicht weiß, was und wer dahintersteckt, fällt es mir schwer, einer Marke zu vertrauen.

Was wäre aus Markensicht Ihr Lösungsansatz?

Die Situation ist verfahren und lässt sich nicht mit einem einzigen kommunikativen Befreiungsschlag lösen. Es braucht ein Programm an sich ergänzenden Maßnahmen, damit das Vertrauen wieder an einen Punkt kommt, an dem sich ein Großteil der Deutschen freiwillig damit impfen lässt.

Aber man kann AstraZeneca nicht mal eben zu Biontech machen.

Meines Erachtens nach braucht es vier Schritte. Der erste ist intuitiv: Wir brauchen eine Vorbildfunktion von ganz oben.

Eine koordinierte Vertrauenskampagne?

Wir brauchen „Impf-Fluencer“. Ich stelle mir Menschen aus den Bereichen Sport, Kultur, Film und Fernsehen und Wirtschaft mit Vorbildfunktion und hoher Glaubwürdigkeit für unterschiedliche soziale Schichten und Altersgruppen vor, die bereit sind, sich öffentlich impfen zu lassen und darüber breit berichten zu lassen. In Interviews, in Plakatkampagnen, mit digitalen Kampagnen. Menschen, die vorangehen und sagen: Ich übernehme Verantwortung und würde mich freuen, wenn ihr das auch tut. Wir kommen nur gemeinsam hier raus. Idealerweise wäre Angela Merkel die erste „Impf-Fluencerin“.

Sie nehmen die Bundeskanzlerin in die Pflicht?

Wenn sich Angela Merkel öffentlich nach der Tagesschau impfen ließe, hätte das ungeheure Signalwirkung. Wahrscheinlich würde die Bundeskanzlerin das aber nicht machen, weil sie sich an die Regeln hält, in diesem Fall die Impfreihenfolge. Andere Regierungschefs haben da buchstäblich die Ärmel hochgekrempelt. Es würde ihrer Rolle als Vorbild, aber auch der Pflicht ihres Amts, sich mit aller Kraft für die Geschicke des Landes einzusetzen, gerecht.

Von wem müsste diese Kampagne ausgehen – und wen hätten Sie im Sinn?

Das Bundesministerium für Gesundheit wählt gezielt diese Vorbilder aus. Günther Jauch für die Älteren zum Beispiel, Bianca „Bibi“ Claßen für die Jüngeren und Elias M’Barek für alles dazwischen.

Und im nächsten Schritt?

Der zweite Schritt ist entscheidend und muss vom Unternehmen ausgehen. Astra-Zeneca muss Gesicht zeigen. Pascal Soriot, CEO des Konzerns, muss klar Stellung zu den Vorwürfen beziehen und seinen Impfstoff erkläre. Wenn ich etwas nicht verstehe, will ich es ja nicht haben. Zweitens muss klar werden, welche Philosophie hinter AstraZeneca steckt. Über die Tatsache hinaus, dass man mit Pharmaprodukten Geld verdienen möchte.

Ist es nicht kompliziert, diese Art von „Purpose“ klar verständlich zu formulieren?

Auf der Website Biontechs steht im Impressum unterhalb der Adresse die Vision des Unternehmens: „Das volle Potenzial des Immunsystems nutzen, um Krebs und Infektionskrankheiten entgegenzuwirken“. Das versteht jeder. Schon in diesem einen Satz erfahre ich genug über den Konzern, dass es Vertrauen in die Marke erzeugt. Es liegt nicht nur daran, dass das deutsche Unternehmen für Deutsche greifbarer ist.

Wie würde es dann weitergehen?

Schritt drei ist das Storytelling. Eine Marke lebt von Assoziationen und die von glaubwürdigen Geschichten. Eine Geschichte, die zutrifft, die aber nicht erzählt wird: AstraZeneca ist unser vielleicht einziger Ausgang aus der Pandemie. Es ist der aktuell einzig zugelassene und verfügbare Impfstoff, den wir leicht in Arztpraxen verimpfen können.

Braucht es diese Überhöhung? Oder ist es gar keine?

Es nicht primär darum, eine Unternehmensmarke aufzupolieren. Wenn wir das Vertrauen in die Marke wiederherstellen, kommen wir schneller aus der Pandemie. Womöglich im dritten Quartal. Wenn wir ausschließlich die Probleme diskutieren, kehrt das Vertrauen nicht zurück.

Woran denken Sie?

Das Vektorverfahren ist, anders als der mRNA-Ansatz, seit langem bewährt und getestet, nur diese Geschichte erzählt niemand. Und die Studienergebnisse zeigen, dass das Mittel von AstraZeneca gegen Erkrankung vor allem vor schwersten Verläufen zuverlässig schützt.

Aber die Probleme sind real.

Es muss transparent und ehrlich kommuniziert werden. Die Nebenwirkungen sind vorhanden und dürfen nicht verschwiegen werden. Alles, was AstraZeneca dazu weiß, muss klar benannt werden. Es gehört auf ein Merkblatt, was bei den Ärzten ausliegt. Aber klar und einfach. Dazu zählt auch, wo sinnvoll, die Risiken mit denen anderer Alltagsmedikamente zu vergleichen.

Was wäre der abschließende Faktor?

Das sind die Hausärzte selbst. Die stärkste Waffe einer Marke ist das Empfehlungsmarketing. Wenn ihnen ein Freund etwas empfiehlt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieser Empfehlung folgen um ein vielfaches höher als etwa bei TV-Werbung. In diesem Fall können wird das Empfehlungsmarketing erst ein Faktor, wenn sich eine kritische Masse an Menschen mit AstraZeneca hat impfen lassen. Diese signifikante Größenordnung kriegen in kurzer Zeit nur, wenn wir die Hausärzte einbinden.

Wirkt das auf potenzielle Impfkandidaten denn anders?

Wir haben eine doppelte Wirkung. Wenn der Hausarzt dem Patienten sagt, damit kannst du dich bedenkenlos impfen lassen, vertraut der diesem Rat. Die zweite Komponente ist der Geimpfte, der danach von seinen Erfahrungen Familie und Freunden berichtet. Die Daten legen nah, dass diese Erfahrungen weit überwiegend ohne schwerwiegendere Nebenwirkungen auskommen. Die Botschaft „es war gar nicht so schlimm“ hilft da bereits viel. Dieser Punkt ist der entscheidende, kommt aber nicht ohne die anderen aus.

Was wäre Ihr Fazit?

Vertrauen in eine Marke lebt von vielen Menschen, die sich mit ihnen identifizieren. Merkel und die Impffluencer, Pascal Soriot, die Hausärzte, die Geimpften selbst: sie stehen mit ihrem Namen für die Wirksamkeit ein. Und das schafft Vertrauen.

Herr Spall, vielen Dank für das Gespräch.

Hier zum vollständigen Interview vom Handelsblatt

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