Superbrand Europa: Wie aus der Vernunft-Union eine starke Marke werden könnte

25. Mai 2014

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Interview mit Handelsblatt.com / 24. Mai 2014

Ein Leuchtstreif am Himmel in der Zukunftsdebatte um Europa: Die Europäische Union hätte das Talent zur Superbrand – theoretisch. Doch es gibt noch viel zu tun. Eine etwas andere Analyse zur Griechenland-Krise. Von Christopher Spall, Handelsblatt.com

Genau jetzt, in der schwersten Krise seit Gründung der EU, wird heftig über die Zukunft des Staatenbundes diskutiert. Dabei geht es nicht nur um Griechenland oder den Euro. Es geht um Grundsätzliches. Das vereinte Europa hat ein Markenproblem. In den Köpfen der Menschen muss Europa wirklich erst geschaffen werden. Denn kaum einer weiß, für was die EU eigentlich genau steht.

Europa, was ist deine Vision?

Die Marke Europa ist nur so stark wie all die Erinnerungen und Vorstellungen, die in den Köpfen der Europäer gespeichert sind. Und genau da liegt das Problem. Denn neben einer Menge Konfusion und Fragezeichen dürften in der Vorstellungswelt der Menschen vor allem Problem-Themen wie „Grexit“, „Eurokrise“ oder „Glühlampenverordnung“ verankert sein. Es fehlt an einer positiven Vision, einem gemeinsamen, starken europäischen Ziel, das alle vereint. Schauen Sie sich eine große Marke unserer Zeit an. Amazon hat sich zum Ziel gesetzt, das kundenorientierteste Unternehmen der Welt zu werden. Stellen Sie sich vor, wie motivierend diese Vision auf die Mitarbeiter von Amazon wirken muss. Jeder ist plötzlich Teil einer großen Idee. Nun denken wir Europäer gemeinhin etwas kleiner. Aber sollten wir es nicht wenigstens versuchen? Oder ist es Zufall, dass die größten Marken unserer Zeit allesamt in den USA geboren sind und Stars und Stripes tragen?

Sie meinen, es gäbe doch schon Ansätze für eine gemeinsame europäische Vision? Oh, natürlich: Wir haben gelernt, dass gerade Deutschland langfristig im wirtschaftlichen Wettlauf nur im Verbund mit seinen europäischen Nachbarn bestehen kann – vor allem gegen China und die aufstrebenden Schwellenländer. Gut, das macht Sinn – dieses Argument zeigt allerdings ein rein nationales Interesse, jedoch keine europäische Vision. Nun wird in Italien, Griechenland und Co. gespart, was das Zeug hält – damit allen, aber besonders dem Zahl- und Exportweltmeister Deutschland, nicht der Euro um die Ohren fliegt. Just seit der Zuspitzung des Ukraine-Russland Konflikts rückt eine ganz andere, eine längst vergessene Vision, wieder in den Fokus: Die Vision von einem friedlichen Europa ohne Krieg. Doch dieses Zukunftsbild würde bei einer Entspannung der Lage in der Ukraine schnell wieder verblassen. Denn sie spielt einzig mit der Angst der Menschen – kein stabiles Fundament für Marken. So geht es in der Union meist um wirtschaftliche Notwendigkeiten, die Interessen einzelner Staaten oder temporäre Zukunftsbilder. Europa, wie willst du die Menschen ohne eine große Idee hinter Dir vereinen?

Europa, was sind deine Markenwerte?

Menschen identifizieren sich mit Marken, wenn sie bemerken, dass ihre persönlichen Werte mit den Werten eines Produkts, eines Unternehmens oder einer Persönlichkeit zusammenpassen – oder eben auch mit den Werten eines Staatenbundes. Doch gibt es diese gemeinsamen Werte in der Europäischen Union überhaupt? Im Kern kann ein gemeinsames Europa nur mit Werten gelingen, die alle Menschen verbinden und die von ihnen gelebt werden. Zwar haben wir räumliche Distanzen längst überwunden und wir erreichen innerhalb von drei Stunden per Flugzeug nahezu jeden Winkel unseres Kontinents. Doch auf der Werte-Ebene scheinen die Länder Europas Lichtjahre zu trennen.

In der Gegend um Lagos, einer alten Küstenstadt an der portugiesischen Algarve, ziehen es große Teile der Bevölkerung lieber vor, in der Sonne zu liegen statt zu arbeiten. Das sorgt schon innerhalb des industriearmen Landes Portugals für Konflikte – gleichzeitig ist es ein europäisches Problem. Denn Menschen aus der portugiesischen Sonne sollen zu einer Wertegemeinschaft passen, zu der unter anderem die als fleißig geltenden Schwaben („schaffe, schaffe, Häusle baue“) gehören. Doch Einstellungen und Werte weichen stark voneinander ab, ein paneuropäisches Paradoxon also. Dagegen hilft auch keine gemeinsame Währung. Um die Menschen in Europa hinter einer gemeinsamen europäischen Vision zu versammeln (und nicht beteiligungslos zurückzulassen), braucht die Marke Europa einen einheitlichen, gemeinsamen Wertekanon, den die Menschen verstehen und praktizieren können.

 

Europa, welche Markenpersönlichkeit gibt dir ein Gesicht?

Hinter starken Marken stecken häufig starke Persönlichkeiten. Wie zum Beispiel Dieter Mateschitz von Red Bull, der als Person inzwischen nicht nur für ein Zuckerwasser-Imperium steht, sondern auch für Hochgeschwindigkeitssport von Formel 1 bis Snowboard. Doch wer verkörpert die Marke Europa? Außenbeauftrage Ashton agiert zumeist als unsichtbarer Geist – Vorbildpotenzial gleich null. Schauen wir uns die beiden Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten an, Jean Claude Junker und Martin Schulz. Beide sind ausgewiesene Europäer. Der Luxemburger Junker wirkt elegant, erklärt Europa mit Hilfen von Fakten. Doch begeistern und mitreißen kann er nicht. Schulz kann dies auf den ersten Blick auch nicht. Der einfache Buchhändler mit der Kassenbrille kommt als buckliger kleiner Mann mit Zottel-Bart daher. Auf den zweiten Blick jedoch, in seinen leidenschaftlichen Reden, in seinen scharfen, ungeschliffenen Antworten, zeigt Schulz Profil. Er redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Seine größte Schwäche sei es, so Schulz, dass er „sein Maul nicht halten könnte“. Genau das ist jedoch sein größtes Kapital. Immerhin kennen ihn mittlerweile 68% der Deutschen. Doch kann der überehrgeizig wirkende Rheinländer mit der Glatze wirklich ganz Europa verkörpern und vereinen?

Europa, wie willst du die Menschen erreichen, wenn du keine leuchtenden Vorbilder hast?

Europa, wo sind deine Grenzen?

Ein Leitsatz der Markenführung lautet: Starke Marken haben starke Grenzen. Sie markieren eine eindeutige Trennlinie zwischen dem Feld, das Marken besetzen und dem Raum, von dem sie sich abgrenzen wollen. Denn Grenzen schaffen Anziehungskraft. Grenzen schaffen Identifikation; weil sie ein Marken-Territorium definieren, das Orientierung und Sicherheit gibt. Die Abgrenzung zum Orient ist eine Jahrtausende überdauernde Leier europäischer Identitätsstiftung. Klare geographische bzw. kulturelle Grenzen scheinen heute allerdings nicht in Sichtweite, die Grenze im Süden Richtung Nordafrika ausgenommen. Schauen wir Richtung Osten: Ukraine? Vielleicht. Die Türkei im Südosten? Eigentlich nicht. Aber ein klares Nein aus Brüssel war bisher nicht zu hören. Dabei scheint die muslimische Türkei in Sachen Menschenrechte keinen Schritt näher an Europa als Russland. Brüssel muss endlich verbindliche wirtschaftliche, wertebezogene und geographische Grenzen definieren und diese konsequent einhalten. Europa, wie willst Du uns zu stolzen Europäern machen, wenn Du deine Grenzen nicht absteckst?

Damit Europa zur Superbrand wächst, sind jede Menge Hausaufgaben zu erledigen. Deshalb mag diese Vision von einer Superbrand Europa geradezu traumwandlerisch daherkommen. Doch es geht um den ersten Schritt in die richtige Richtung – hin zu einer gemeinsamen Idee, zu starken Werten, prägnanten Geschichten, glaubhaften Vorbilder und klaren Grenzen. Neulich sagte Martin Schulz vor Studenten das europäische Projekt sei so etwas „wie die Landung auf dem Mond“. Bis Europa zur gefragten Marke wird, bleibt dies seine ganz persönliche Utopie.

Bildquelle: symbiot/Shutterstock.com

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