Corona-Vakzin in Verruf: Vier Schritte, um die Impfkampagne zu retten

Corona-Vakzin in Verruf: Vier Schritte, um die Impfkampagne zu retten

Christopher Spall im Interview in DIE WELT zur Rettung der Marke AstraZeneca / 19. März 2021

Für die ohnehin schleppende Impfkampagne in Deutschland war die Aussetzung der AstraZeneca-Impfungen ein Rückschlag. In vielen Bundesländern wurde die Vergabe vonTerminen in den Impfzentren ausgesetzt. Das Ergebnis sind Ängste und Sorgen bei denjenigen, die mit AstraZeneca geimpft werden sollen. Spall.macht.Marke hat daher eine Strategie entwickelt, wie AstraZeneca in vier Schritten das Vertrauen in die Marke und den Impfstoff zurückgewinnen kann. Denn wir brauchen den Impfstoff von AstraZeneca dringend, um die Pandemie in Deutschland und Europa zu bewältigen.

Zunächst lief jedoch auch der Vertrauensbruch in vier Stufen ab.

Das Vertrauen der Menschen in den Impfstoff von AstraZeneca ist fast vollständig zerstört.

Als AstraZeneca zugelassen wurde, hieß es: Der Impfstoff ist nur was für Menschen unter 65 Jahren. Weil zu wenige Daten vorliegen würden. „Aus heutiger Sicht war das übertriebenes deutsches Sicherheitsbewusstsein und Risikoaversion“, sagt Christopher Spall. Denn in vielen anderen Ländern wurden auch die Alten längst mit AstraZeneca geimpft. Das war der erste Schritt in die Vertrauenskrise: Ist das Vakzin überhaupt für alle geeignet?

Das zweite Problem waren die Lieferschwierigkeiten von AstraZeneca, als Zusagen an die EU nicht eingehalten werden konnten. „Verunsicherung entstand, da Zweifel aufkamen, ob dasPharmaunternehmen verlässlich ist.“, sagt Spall. Nicht nur die Verlässlichkeit wurde angezweifelt, nun kamen sogar Gedanken, ob AstraZeneca als britisch-schwedisches Konstruktder EU eine nachträgliche Brexit-Watsche verpassen will.

Und dann gab es Zweifel an der Wirksamkeit. Kurzzeitig hieß es, der Impfstoff sei vielleicht gar nicht wirksam. Aufgrund dieser Zweifel setzte Südafrika die Impfungen am 8. Februar aus. „Im Nachhinein wissen wir: AstraZeneca schützt genau so gut vor einem schweren Krankheitsverlauf und Tod wie der Impfstoff von Biontech und Moderna. Und darum geht es ja“, sagt Spall. „Auf der Faktenbasis waren diese Zweifel also nichtig, aber den Ruf hat es trotzdem deutlich belastet.“ Das dritte Fragezeichen war in der Welt: Wirkt das Vakzin überhaupt?

Der vierte und letzte Schritt zum völligen Vertrauensverlust waren dann Meldungen über dasAuftreten von Thrombosen im Zusammenhang mit Impfungen mit AstraZeneca, die daher europaweit ausgesetzt wurden. „Da taumelte der Boxer aber schon, das war nur noch der letzte K.o.-Schlag, um das Vertrauen in die Marke AstraZeneca und damit auch in den Impfstoff vollständig zu ruinieren“, sagt Spall.

Dramatisch sei das nicht wegen der Marke AstraZeneca, sondern durch die Auswirkungen, die dies auf die Impfkampagne in Deutschland hat und damit auf die Frage, ob die Pandemie inEuropa bald beendet werden kann. Denn der Impfstoff von AstraZeneca kann leichter beiKühlschranktemperaturen gelagert und damit auch ohne Probleme von Hausärzten verimpft werden.

Durch Impfungen können zwar Nebenwirkungen auftreten, sagt Spall. „Laut Experten ist dasRisiko, durch die Anti-Baby-Pille eine schwerwiegende Thrombose zu erleiden, um den Faktor 250 höher im Vergleich mit AstraZeneca. Damit müssen wir transparent umgehen“. Beide Seiten, die Fakten als auch die Assoziationen mit dem Impfstoff, sollten in Einklang gebracht werden.

Dazu hat Spall mit seinem Team vier Eckpfeiler entwickelt. Jede Maßnahme an sich würde nicht reichen, da die Reputations-Probleme vielschichtig sind. „Also können wir es auch nicht mit einem kommunikativen Glückstreffer lösen“, sagt Spall.

1. Schritt: Vorbildfunktion von ganz oben

Wir brauchen jetzt schleunigst eine öffentliche Impfung von Angela Merkel mit AstraZeneca

Das widerspreche zwar Merkels „preußischer Regeltreue, da die Bundeskanzlerin noch nicht an der Reihe wäre. „Wir können aber nicht nur unserer deutschen DNA folgen und blind die Regeln einhalten, sondern müssen pragmatisch handeln. Merkel wäre der Schneepflug, der den Weg freimacht.“ Merkel solle sich also impfen lassen, wie es US-Präsident Joe Biden und weitere Anführer in der Welt bereits öffentlich getan haben.

Danach bräuchte es jedoch eine Kampagne mit „Impfstoff-Influencern“, sagt Spall. ProminentePersonen aus verschiedenen Bereichen wie Film und Fernsehen, Sport, Kultur, die ihren gutenNamen nutzen, um das Vertrauen wieder aufzubauen. Aus verschiedenen Altersklassen, bunt gemischt. Personen, die auf eine bestimmte Art und Weise eine Vorbildfunktion haben, die sich öffentlich impfen lassen und sich als Gesicht dieser Kampagne zeigen. „Da stelle ich mir Online-Werbung vor, aber auch auf Litfaßsäulen, auf denen angesehene Persönlichkeiten ihreErfahrungen mit AstraZeneca teilen“, sagt Spall.

Dazu bräuchte es Prominente, die in ihrer Generation hohes Vertrauen genießen und eine hoheReichweite haben. Elyas M’Barek für die Jüngeren, Günther Jauch für die Älteren. Wenn sichmorgen Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier impfen ließe und viel später erst GüntherJauch, entstehe keine Durchschlagskraft in der Kommunikation. „Das funktioniert nur durcheine systematische Kampagne. Eine spürbare Image-Änderung entsteht immer durch ein Bündelan Maßnahmen“, sagt Spall.

2. Schritt: AstraZeneca braucht ein Gesicht

Seien Sie ehrlich: Könnten Sie, ohne zu googlen, den CEO von AstraZeneca benennen? Daher betrifft der zweite Eckpfeiler zurück zum Vertrauen AstraZeneca direkt, noch genauer den obersten Chef, Pascal Soriot, 61.

Vertrauen zu einer Marke haben sie, wenn sie auch ein Gesicht vor Augen haben

Der Impfstoff von Biontech hat nicht nur ein gutes Image, weil er aus Mainz kommt, sondern weil viele Menschen die Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci vor Augen haben und wir viel über sie wissen.

Sogar, dass Uğur Şahink ein Auto besitzt und auch heute noch als Milliardär jeden Tag mit einem alten Mountainbike zur Arbeit fährt. „Beide verkörpern extrem bodenständige Unternehmer, die einen echten Unterschied im Leben der Menschen machen wollen. Das macht sie und die Marke Biontech greif- und nahbar“, sagt Spall. Marken würden durch Menschen gemacht. Über die Personen und deren Philosophie hinter AstraZeneca sei kaum etwas bekannt.

Biontech würde hierzulande immer den Vorteil genießen, der „deutsche Impfstoff“ zu sein. AberNähe könne auch aufgebaut werden. „Für Pascal Soriot heißt es jetzt: Raus aus derUnsichtbarkeit“, sagt Spall. Er solle sich nach vorne stellen, seinen Impfstoff erklären und denLeuten erzählen, wofür er eigentlich steht. „Gibt es einen guten Existenzgrund jenseits des Ziels Geld mit Pharmaprodukten zu verdienen? Wir brauchen Klarheit über die Identität vonAstraZeneca“, sagt Spall. Dieses Vorurteil schwebe über dem britisch-schwedischen Konglomerat. Der Vergleich mit der strahlenden Marke Biontech ist dabei irrelevant, dieserVorsprung muss nicht eingeholt werden. Es geht nur darum, so viel Vertrauen aufzubauen, wie es braucht, damit sich die Menschen impfen lassen.

3. Schritt: Transparenz und positive Geschichten

AstraZeneca ist der einzige in der EU zugelassene und verfügbare Impfstoff, dessen Wirksamkeit auf einem bewährten Verfahren beruht, wobei mit Hilfe eines Trägervirus die Immunität erreicht wird, sogenannte Vektorimpfstoffe. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna beruhen auf dem neuen mRNA-Verfahren und bringen damit wenig Historie mit.

Das Verfahren von AstraZeneca ist gut getestet und bekannt. Diese positiven Geschichten müssen in den Vordergrund gerückt werden

AstraZeneca schütze genau so gut vor Krankheit und Tod wie die anderen Impfstoffe. Das müsse erzählt werden, auch über die erwähnten Impfstoff-Influencer. Denn sonst bleiben die negativen Geschichten im Gedächtnis.Und die positivste Story: „AstraZeneca ist unsere Chance und unser Weg aus der Pandemie“, sagt Spall. Weil er sich besonders gut für die Verimpfung durch Hausärzte eignet, da er bei Kühlschranktemperaturen gelagert und transportiert werden kann.

4. Schritt: Hausärzte und Empfehlungsmarketing

Die negativen Geschichten überwiegen auch, weil wir kaum Menschen kennen, die mitAstraZeneca geimpft wurden. „Daher sollte die Impfreihenfolge teilweise aufgebrochen werden und Hausätzte losimpfen dürfen. Freiwillige vor“, sagt Spall. Dadurch würde das stärkste Werkzeug im Aufbau von Vertrauen genutzt:

Empfehlungsmarketing.

„Das ist so stark, weil es die höchste Glaubwürdigkeit hat.“

Werbung wird oft abgelehnt, dem Tipp und der Erfahrungen eines guten Freundes wird jedoch vertraut. Bisher hatten aber kaum Menschen Erfahrungen mit AstraZeneca, viel vermeintliches Wissen basiert auf Hörensagen. Die Priorisierung vor Ort sollte laut Spall den Hausärzten überlassen werden, weil sie in Bezug auf Impfungen die höchste Glaubwürdigkeit hätten. „Das würden die hinkriegen, so müssen sie ja sonst auch vorgehen. Da müssen wir pragmatischer werden. Das ist der entscheidende Hebel, damit die Leute positive Erfahrungen mit dem Impfstoff machen können.“

Dazu könnten die Hausärzte unterstützendes Material erhalten. Ein Ein-Seiter, der in der Praxis ausliegt, auf dem der Impfstoff von AstraZeneca beschrieben wird, samt heute bekannterNebenwirkungen. Und eine Einordnung, wie diese zu bewerten sind im Vergleich zu Alltagsmedikamenten wie Ibuprofen oder Aspirin.

Denn je mehr geimpft wird, desto mehr würde auch von Nebenwirkungen wie Schwindel oder anderen Symptomen berichtet werden. Dies sei kein Rückschlag für das Vertrauen inAstraZeneca, solange die Relation zu anderen Medikamenten bekannt sei. Und laut Spall sollte auch immer der Vergleich hergestellt werden, wie hoch das Risiko einer Covid-19-Erkrankung ist, wenn man nicht geimpft ist. Nach dem Motto „Besser AstraZeneca als gar nicht geimpft“.

Es geht also in allen vier Stufen darum, die Personen mit der höchsten Glaubwürdigkeit für denVertrauensaufbau schrittweise zu nutzen. Kanzlerin, Influencer aus verschiedenen Altersschichten. CEO Soriot, mit einer klaren Positionierung. Und die Hausärzte und Geimpfte selbst, die positive Erfahrungen streuen. „Am Ende liegt es an uns allen selbst, ob wir im Falle der Lockerung der Impfreihenfolge vorangehen und uns impfen lassen“, sagt Spall. „Wir kommen dabei in den Genuss eines Gefühls, das uns in der Pandemie abhanden gekommen ist: Wir haben es selbst in der Hand.“

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Testimonial-Einsatz für Marken in der Corona-Krise

Testimonial-Einsatz für Marken in der Corona-Krise

Christopher Spall im Interview in DIE WELT über den Umgang mit Testimonials in der Corona-Krise / 11. Januar 2021

Der Einsatz von Testimonials in der Werbung für Marken ist Alltag. Und ein zweischneidiges Schwert. Denn die Reputation der Marke wird häufig eng mit der des Testimonials verknüft. Besonders in Krisenzeiten können nicht Corona-konforme Kommunikation und andere Fehltritte des Testimonials immensen Schaden anrichten. Christopher Spall beleuchtet einen prominenten Fall im Interview mit DIE WELT.

Michael Wendler bei DSDS: Super-Gau für den Ruf einer Vorzeigemarke

Michael Wendler hat sich als Verschwörungstheoretiker geoutet, trotzdem sollte er in der Sendung „DSDS“ zu sehen sein. Bis er die Pandemie-Maßnahmen mit einem KZ verglich. RTL steht vor einem Scherbenhaufen. Auch, weil gesellschaftliche Entwicklungen der Corona-Zeit übersehen wurden.

Schon beim Auftakt der neuen Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) war RTL anzumerken, wie unangenehm dem Sender die Präsenz von Michael Wendler in der Jury des Castingformats ist. Wortbeiträge des Schlagerstars wurden mit Musik untermalt, teilweise in erhöhtem Tempo abgespielt. Alles, um ihn lächerlich zu machen und sich selbst, so gut es geht, von ihm zu distanzieren. Beim Zuschauer stellte sich ein Gefühl ein, als müsste man mit der neuen Freundin ein altes Urlaubsvideo mit der Ex ansehen.

Das Testimonial als PR-Desaster

Die Vorahnung hat nicht getäuscht, mittlerweile hat sich der Wendler zu einem regelrechten PR-Desaster für den Sender entwickelt.

Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich in der Pandemie die gesellschaftlichen Parameter verändert haben. Aufmerksamkeit um jeden Preis, das war vor der Pandemie. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Bekanntheit und Attraktivität. Zwischen dem einstigen Traumpaar Wendler und RTL war es schon im Herbst zum Bruch gekommen. Damals hatte sich Wendler, bürgerlicher Name Michael Skowronek, später Norberg und seines Zeichens Schlagersänger, in einem Video zur Corona-Politik in Deutschland geäußert. Er warf der Bundesregierung „grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung“ in der Corona-Krise vor.

Zudem beschuldigte er Fernsehsender, darunter auch RTL, „gleichgeschaltet“ zu sein. Der Sender war daraufhin von ihm abgerückt und nannte ihn einen Verschwörungstheoretiker. Trotzdem sollte Wendler in der 18. DSDS-Staffel noch einmal zu sehen sein, denn 13 Folgen mit dem 48-Jährigen waren bereits aufgezeichnet worden. Es gehe bei der Ausstrahlung auch um Fairness den Sängern gegenüber, über die Wendler damals entschieden habe, hatte RTL die Entscheidung begründet.

Danach war es ruhiger geworden um den Wendler, was RTL sicherlich in die Karten spielte. Am Dienstag allerdings – am Tag der Ausstrahlung der ersten Folge – berichteten mehrere Medien dann über einen Eintrag des Wendlers beim Messengerdienst Telegram. Zu lesen war dort: „KZ Deutschland??? Es ist einfach nur noch dreist was sich diese Regierung erlaubt!“. Auch ein Screenshot des Postings kursierte. Schließlich bestätigte Wendler seine „KZ“-Äußerung auf Instagram. Angeblich, so hieß es jedoch in seinem Statement, sei „KZ“ eine Abkürzung für „Krisen Zentrum“ gewesen. Das glaubte ihm natürlich niemand.

(…)

Der verursachte Schaden muss begrenzt werden

Der Aufschrei nach Wendlers Äußerungen kreierte am Mittwoch einen so hohen öffentlichen Druck, dass dem Sender eigentlich keine andere Wahl mehr blieb. „RTL wird Michael Wendler komplett aus der Sendung schneiden“, stellte der Sender klar – „selbst wenn dabei für die Zuschauer sichtbare, dramaturgische Lücken entstehen.“ Man distanziere sich klar von Wenders Äußerungen, in denen er „Lockdown-Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben inmitten der Corona-Pandemie nun in nationalsozialistischen Kontext“ setze.

(…)

Marken müssen die Initiative ergreifen und sofort reagieren

„Aufgrund der Extremsituation haben wir eine ganz andere Sensibilität für asoziale Verhaltens- und Kommunikationsweisen entwickelt“, erklärt der Marken- und Identitätsexperte Christopher Spall im Gespräch mit WELT. Das bekam zum Beispiel Adidas zu spüren, als sich der Sportartikelhersteller entschied, aufgrund der Corona-Schließungen keine Miete mehr für die eigenen Geschäfte zu zahlen. Ein Shitstorm wurde wohl erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. „Das war ein Super-GAU für den Ruf einer Vorzeigemarke“, sagt Spall.

Ähnlich gehe es nun dem Fernsehsender durch den Wendler-Skandal: „RTL wird die negative Reputation nicht los. Nach den ersten zweifelhaften Äußerungen von Wendler agierte der Sender noch nach dem Motto: ‚Das ist unsere Show, die lassen wir uns von einem Verschwörungstheoretiker nicht kaputt machen.‘ Das war zwar mutig, der Skandal wurde dadurch aber nur noch weiter aufgeblasen.

Was lernen wir daraus: Marken müssen in der heutigen Zeit bei solchen Fehltritten die Initiative ergreifen und sofort reagieren. Bevor die Shitstorm-Welle anrollt“, erklärt Spall. „Schauen, wie sich die Dinge entwickeln, wie vor Corona und vor dem Bedeutungsanstieg der Sozialen Medien, die Devise ‚Abwarten und Tee trinken‘ – das war mal.“ Am Ende müsse man rational kalkulieren, welcher Schaden größer sei: Auf der einen Seite der dramaturgische Schaden durch das Rausschneiden des Verschwörungstheoretikers. Auf der anderen Seite der Reputationsschaden für RTL als Ganzes. „Wenn wir diese Rechnung aufstellen, wird schnell klar, dass der dramaturgische Schaden das kleinere Übel ist“, sagt Spall.

Kaufland distanziert sich von seinem Testimonial Wendler

Vor ähnlichen Fragen stand auch der Discounter Kaufland, der ebenfalls durch Michael Wendler in Bedrängnis geraten war. Im Oktober vergangenen Jahres hatte Kaufland einen Werbespot mit dem Sänger gedreht. Sehr aufwendig, sehr teuer. Nach den ersten kritischen Wendler-Bemerkungen stoppte das Unternehmen die Kampagne sofort und ersatzlos und machte damit seinen Standpunkt deutlich. So gewann das Unternehmen in dieser schwierigen Lage sogar noch an Ansehen.

Marken müssen Haltung zeigen

Spall sieht zwei Komponenten, die von Marken derzeit erwartet werden: „Konsequent Haltung zeigen. Und das frühzeitig und aus eigenem Antrieb. Wenn das der Fall ist, gibt es einen Reputationsbonus. Reagieren Marken zu spät und auf Basis eines externen Drucks, wirkt selbst die mutigste Kehrtwende unglaubwürdig.“

Wie schwierig die sein kann, konnte im vergangenen Jahr bei „Uncle Ben‘s“ beobachtet werden. Der verantwortliche, amerikanische Mars-Konzern benannte die Marke um und nahm den dunkelhäutigen Mann von der Verpackung, der seit Gründung das Markengesicht war. Weil die abgebildete Person für die Sklaverei in den US-Südstaaten steht. Uncle Ben‘s vollzog diesen Schritt jedoch erst, als der Druck durch die „Black Lives Matter“-Protestbewegung zu groß geworden war. „Das war für Uncle Ben‘s ein Riesenschritt und hat trotzdem den guten Ruf belastet. Weil sie eben nicht aus eigenem Antrieb gehandelt haben. Die Reaktion war kein Ausdruck einer inneren Haltung“, sagt Spall.

Identitätsprüfung: Passt das Testimonial zur Marke

Durch die Pandemie hat sich laut Spall noch etwas geändert: Das Mantra „Aufmerksamkeit um jeden Preis“ gilt nicht mehr als verlässliche Maxime. „In dieser Zeit brauchen wir eine noch genauere Identitätsprüfung von Menschen und Marken, mit denen wir uns schmücken. Es reicht nicht zu schauen, ob der Typ eine hohe Bekanntheit hat. Das ist zu kurz gedacht“, sagt Spall. Mit seinem Abdriften in die Welt der Verschwörungstheoretiker hat Michael Wendler nicht nur seine Geschäftspartner in Schwierigkeiten gebracht, sondern sich selbst um eine florierende Karriere.

Die Relevanz „des Wendlers“ sei jedoch schon vor seinen Thesen darin begründet gewesen, dass er vor allem als Witzfigur funktioniere. Dadurch sei er überhaupt in Betracht gekommen, bei Kaufland als Testimonial oder bei DSDS als Juror zu fungieren. „Das ist die Rolle, die ihm zugeteilt war. Jetzt hat sich Michael Wendler innerhalb einiger Monate von der Witzfigur zum Reputationskiller entwickelt. Jetzt lacht bei RTL keiner mehr über Wendler“, sagt Spall. Denn nun wird jede Person und jede Marke, die mit ihm in Verbindung tritt, von der Öffentlichkeit abgestraft.

Aufmerksamkeit um jeden Preis zählt heute nicht mehr

„An Michael Wendler sieht man gut den Unterschied zwischen Bekanntheit und Attraktivität. Fast jeder in Deutschland kann mit dem Namen Wendler was anfangen, aber wer sich mit ihm identifiziert, verbindet sich nun nicht nur mit billigem Inhalt, sondern auch mit kruden Thesen“, sagt Spall.

Neben Wendlers eigener leidet wohl die Karriere seiner Ehefrau Laura Müller am meisten unter der Entwicklung ihres Mannes, denn die Influencerin verlor alle Werbepartner. „Daran sieht man, wie mächtig die Reputation ist. Vor den Ausfällen des Wendlers hat Laura Müller deutlich von ihm profitiert und so als Influencerin Werbepartner gefunden. Jetzt ist die Reputation vom Wendler im Keller und plötzlich hängt sie da eins zu eins mit drin“, sagt Spall.

Daran sieht man aber auch, dass die Öffentlichkeit nicht trennt und hinterfragt: Ist das jetzt auch die Haltung seiner Ehefrau? Die Öffentlichkeit urteile da viel gröber, erklärt Spall: „Daher muss man extrem vorsichtig sein, mit wem man kooperiert und vorher schon analysieren: Könnte mir das irgendwann auf die Füße fallen?“

Dass es aber ein Zurück in die Mitte der Gesellschaft für Ausgestoßene gibt, zeigt der Fall Uli Hoeneß. Der Ex-Manager des FC Bayern München befand sich auf dem Höhepunkt seines Skandals um Steuerhinterziehung, was die gesellschaftliche Ächtung angeht, in einer ähnlichen Situation wie jetzt Michael Wendler.

Der Weg zur Rehabilitation ist lang und steinig

Sein Weg zurück sei auch der einzige Weg für Wendler: „Zunächst der Kniefall vor der Öffentlichkeit, also das uneingeschränkte Eingeständnis des eigenen Versagens“, erklärt Spall. „Dann der völlige Rückzug aus der Öffentlichkeit, über einen längeren Zeitraum, mindestens zwölf Monate. Kein Twitter, kein Instagram, erst Recht kein Telegram. Und dann, ohne die Öffentlichkeit zu suchen, ein ehrliches Engagement auf der Basis der eigenen Werte.“ Dann sei es möglich, gesellschaftlichen Kredit zurückzuerlangen und den eigenen Ruf wiederzubeleben.

(…)

Gesellschaftliches Engagement könnte Fehler vergessen machen

„Die Frage wird sein: Ist RTL in der Lage, diese strategischen Fehler vergessen zu machen, die im Umgang mit Michael Wendler gemacht wurden. Indem sie sich beispielsweise im Rahmen der Corona-Krise gesellschaftlich engagieren und so positive Geschichten schreiben. Also genau das Gegenteil dessen, wofür Michael Wendler steht“, sagt Spall. Noch kann Wendler aber weder von Telegram noch von Unwahrheiten und haltlosen Anschuldigungen die Finger lassen. So verbreitete er auch nach dem neuesten Skandal weiter Verschwörungstheorien rund um die Corona-Maßnahmen.

Das Interview führte Marcel Reich.

Bildquelle: Wikipedia / DIE WELT

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Sicherheit und Gesundheit: Anker für die Markenführung nach Corona

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Unsere Welt unterlag vor der Corona-Krise ständiger Veränderung. Die sogenannten Megatrends sind Entwicklungskonstanten der globalen Gesellschaft, die Jahrzehnte anhalten und alle Bereiche der Gesellschaft in der Vergangenheit geprägt haben und auch zukünftig prägen werden. Diese Treiber des Wandels sind meist so langsam, dass wir ihn kaum wahrnehmen. Doch die Corona-Krise änderte das schlagartig. 

Zwei der Megatrends, die durch die Corona-Krise stark beschleunigt wurden, sind „Sicherheit“ und „Gesundheit“. Der Megatrend „Sicherheit“ beschreibt, dass unsere Gesellschaft, oft entgegen unserer Wahrnehmung, immer sicherer wird. Gleichzeitig steigt unser Bedürfnis nach Sicherheit stetig an. Wirtschaftskrisen und Flüchtlingswellen zum Trotz wurde die Welt immer sicherer – bis ein Virus das Leben zum Stillstand zwang. Nicht nur eine Gefahr für unser Leben, sondern auch für unsere finanzielle Sicherheit. Der Megatrend „Gesundheit“ bewirkt, dass Gesundheit von Zufriedenheit kaum noch zu trennen ist. Schon vor der Krise belegte Gesundheit den ersten Platz im gesellschaftlichen Werte-Ranking von Kantar – Fitness, Leistungsfähigkeit und Wohlfühlen sind direkt damit verbunden. Die Krise richtet den Fokus wieder auf das, was Gesundheit im eigentlichen Sinne bedeutet: Die Abwesenheit von Krankheit. Chronisch Kranke und alte Menschen werden zu Risikogruppen, gesunde werden durch Homeoffice und Stress belastet. Gesundheit rückt in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Miteinanders. Schütze ich mich selbst, so schütze ich auch andere. Körperliche Fitness – und damit auch ein verringertes Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden – wird vom gesellschaftlich anerkannten „nice to have“ zum „must have“. Rücksichtnahme auf andere wird von der Tugend zur Pflicht. Der gesunde Lebensstil ist keine Privatsache mehr, sondern Teil der gesellschaftlichen Seuchenprävention.

1. Was bedeutet der Einfluss des Corona-Virus auf diese beiden Megatrends konkret für Marken?

Die beiden Grundfunktionen einer Marke, Sicherheit und Orientierung zu geben, werden wieder besonders relevant. In Zeiten verstärkten Sicherheitsbewusstseins suchen Menschen nach Marken, denen sie vertrauen können und nach Konstanten in turbulenten Zeiten. Wir wollen uns nicht auch noch bei jeder Kaufentscheidung Gedanken machen und greifen so zu uns vertrauten, starken Marken.

Durch die Corona-Krise erweitert sich dieses Sicherheitsbedürfnis um die Komponente Gesundheit. Wir wollen nicht nur Marken, die uns im klassischen Sinne Sicherheit und Orientierung geben, sondern auch solche, die um unsere Gesundheit bemüht sind. Die zwei Megatrends „Sicherheit“ und „Gesundheit“ verschwimmen.

2. Viele Marken haben dies erkannt und ihre Kommunikation und ihr Angebot in der Krise, oft kreativ und spontan, angepasst.

Die Reaktion der Unternehmen reichen dabei von bloßen finanziellen Hilfen wie Zahlungsaufschüben bis hin zu komplett neuen Produkt- und Kommunikationsstrategien. Die R+V Versicherung, zugehörig zur Genossenschaftlichen FinanzGruppe Volksbanken Raiffeisenbanken, ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das seine gesamte Kommunikation umgestellt hat. Vor der Krise warb die Versicherung noch mit „Ihr Plus an Gesundheit“. Im Zuge der Krise wurde dieser Leitspruch fallengelassen und durch „Du bist nicht allein“ ersetzt. Menschen suchen nicht mehr das „Plus“ an Gesundheit, sondern einen zuverlässigen Ansprechpartner, der ihnen Sicherheit gibt und die Gesundheit im Allgemeinen in den Fokus stellt. Die R+V betont an Kontaktpunkten zusätzlich nun aktiv ihren genossenschaftlichen Charakter – eine auf Gemeinschaft, Stabilität und Sicherheit fokussierte Organisationsform. Ein Modell der Zukunft?

Viele kreative Ideen als Reaktion auf die Pandemie sind momentan erfolgreich. Doch das Corona-Virus wird irgendwann wieder aus unserer Wahrnehmung verschwinden – das gesteigerte Bedürfnis nach Sicherheit und Gesundheit nicht. Was bedeutet das für Unternehmen? Wie kann dem auch zukünftig glaubhaft Rechnung getragen werden?

3. Zuerst sollten sich Unternehmen klarmachen, welchen Beitrag sie eigentlich leisten - gesellschaftlich wie für ihre Kunden

Der eigentliche Beitrag der R+V Versicherung ist es, den Menschen Sicherheit zu geben, indem belastende Risiken abgedeckt werden. Die R+V zahlt mit ihrer Umstellung voll darauf ein. Ein anderes Unternehmen, das glaubwürdig aus der eigenen Identität heraus auf das gesteigert Sicherheits- und Gesundheitsbedürfnis einzahlt, ist Lush. Das britische Unternehmen stellt frische, handgemacht Kosmetika wie Seifen und Duschgele mit minimalistischer Verpackung her. Der Beitrag von Lush ist, einer Vielzahl an Kunden umweltschonende und nachhaltige Körperpflege zu bieten. Während einige Läden im Zuge der Corona-Krise kostenloses Händewaschen per Zettel am Schaufenster anboten, ging Lush einen Schritt weiter: An allen britischen Filialen wurde ein riesiger Schriftzug mit den Worten „Come in and wash your hands for free“ angebracht. Als Spezialist für Körperpflege ist diese Handlung nicht nur höchst glaubwürdig, sondern zahlt auch identitätsbasiert auf die Megatrends Sicherheit und Gesundheit ein. Bei einem Sportgeschäft beispielsweise wäre dies als bloßer PR-Gag gesehen worden – zu Lush passt es perfekt.

Doch mit einem Spruch an der Schaufensterscheibe ist es noch nicht getan. Um die kurzfristigen Ideen in langfristig wirkende Maßnahmen umzuwandeln und auch weiterhin auf das gesteigerte Sicherheits- und Gesundheitsbewusstsein einzuzahlen, muss zuerst eine Entscheidung getroffen werden: Wie stark soll das Unternehmen auf die Megatrends ausgerichtet werden? Dabei sind drei Ebenen der Anpassung möglich. Diese Ebenen unterscheiden sich dabei stark bezüglich des Aufwands der Umsetzung und der Glaubwürdigkeit von zukünftigen, auf die beiden Megatrends ausgerichteten Maßnahmen.

4. Wie strak sollen Unternehmen auf die Megatrends ausgerichtet werden?

Drei Möglichkeiten:

Die erste und einfachste Ebene ist die Leistungsebene. Das Unternehmen entscheidet sich dafür, eine einzelne oder wenige Leistungen so anzupassen, dass diese auf die fortschreitenden Veränderungen einzahlen – geringer Aufwand bei geringer Glaubwürdigkeit. Diese Leistungen können dabei Richtung Mitarbeiter und/oder Richtung Kunde gehen.

Die zweite Ebene besteht darin, ein ganzes Programm auf die beiden Megatrends auszurichten. Ein breites Spektrum an Maßnahmen soll auf die Zukunft einzahlen. Die Positionierung des Unternehmens bleibt davon jedoch unberührt – moderater bis hoher Aufwand bei moderater Glaubwürdigkeit. Ein Beispiel hierfür wäre eine neue Produktlinie samt Werbekampagne von Adidas, die speziell auf Fitnessprodukte für chronisch Kranke abzielt, um diesen eine bessere Chance im Kampf gegen das Virus zu geben. Beispiel: Wie kann ich mir das in einer Organisation vorstellen?

Die dritte Ebene ist eine komplette Repositionierung des Unternehmens. Die gesamte Organisation wird neu auf die Veränderungen durch die Corona-Krise und deren Auswirkungen auf die Megatrends hin ausgerichtet. Bei Erfolg kann sich das Unternehmen langfristig differenzieren und stark für die Zukunft aufstellen– sehr hoher Aufwand bei hoher Glaubwürdigkeit. Für diese Option spricht auch unsere immer älter werdende Gesellschaft. Ein Umstand, der nicht bloß Krankenhäusern und -kassen zu denken geben sollte. Eine neue gesellschaftliche Schicht mit eigenen Besonderheiten und Bedürfnissen entsteht – und eines dieser Bedürfnis ist zweifelsohne Gesundheit in allen Ausprägungen.

5. Nach der Entscheidung, wie weitreichend die Organisation ausgerichtet werden soll, können Unternehmen die folgenden vier Aspekte überprüfen und identitätsbasiert Maßnahmen planen:

Zusammenfassend halten wir fest, dass die beiden Megatrends Sicherheit und Gesundheit die Wirtschaft nach Corona nachhaltig prägen werden. Es bleibt den Unternehmen dabei selbst überlassen, wie stark sie darauf einzahlen und auf die Veränderungen reagieren. Eines ist jedoch klar: Unternehmen, die sich auf ihren Beitrag und das, was sie ausmacht, zurückbesinnen und davon abgeleitet handeln, werden zu Gewinnern der Krise – die R+V und Lush machen es vor. Mit ihrer eigenen Identität als Kompass zahlen beide Unternehmen voll auf die veränderten Umstände ein. Das Risiko, bei Untätigkeit von mutigen und aktiven Wettbewerbern abgehängt zu werden, ist groß. Die Zukunft ist eben nicht so ungewiss wie wir denken.

Bildquelle: Shane Rounce / Unsplash.com

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