Testimonial-Einsatz für Marken in der Corona-Krise

15. Jan 2021 | DIE WELT, Presse-Publikation

Christopher Spall im Interview in DIE WELT über den Umgang mit Testimonials in der Corona-Krise / 11. Januar 2021

Der Einsatz von Testimonials in der Werbung für Marken ist Alltag. Und ein zweischneidiges Schwert. Denn die Reputation der Marke wird häufig eng mit der des Testimonials verknüft. Besonders in Krisenzeiten können nicht Corona-konforme Kommunikation und andere Fehltritte des Testimonials immensen Schaden anrichten. Christopher Spall beleuchtet einen prominenten Fall im Interview mit DIE WELT.

Michael Wendler bei DSDS: Super-Gau für den Ruf einer Vorzeigemarke

Michael Wendler hat sich als Verschwörungstheoretiker geoutet, trotzdem sollte er in der Sendung „DSDS“ zu sehen sein. Bis er die Pandemie-Maßnahmen mit einem KZ verglich. RTL steht vor einem Scherbenhaufen. Auch, weil gesellschaftliche Entwicklungen der Corona-Zeit übersehen wurden.

Schon beim Auftakt der neuen Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) war RTL anzumerken, wie unangenehm dem Sender die Präsenz von Michael Wendler in der Jury des Castingformats ist. Wortbeiträge des Schlagerstars wurden mit Musik untermalt, teilweise in erhöhtem Tempo abgespielt. Alles, um ihn lächerlich zu machen und sich selbst, so gut es geht, von ihm zu distanzieren. Beim Zuschauer stellte sich ein Gefühl ein, als müsste man mit der neuen Freundin ein altes Urlaubsvideo mit der Ex ansehen.

Das Testimonial als PR-Desaster

Die Vorahnung hat nicht getäuscht, mittlerweile hat sich der Wendler zu einem regelrechten PR-Desaster für den Sender entwickelt.

Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich in der Pandemie die gesellschaftlichen Parameter verändert haben. Aufmerksamkeit um jeden Preis, das war vor der Pandemie. Denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Bekanntheit und Attraktivität. Zwischen dem einstigen Traumpaar Wendler und RTL war es schon im Herbst zum Bruch gekommen. Damals hatte sich Wendler, bürgerlicher Name Michael Skowronek, später Norberg und seines Zeichens Schlagersänger, in einem Video zur Corona-Politik in Deutschland geäußert. Er warf der Bundesregierung „grobe und schwere Verstöße gegen die Verfassung“ in der Corona-Krise vor.

Zudem beschuldigte er Fernsehsender, darunter auch RTL, „gleichgeschaltet“ zu sein. Der Sender war daraufhin von ihm abgerückt und nannte ihn einen Verschwörungstheoretiker. Trotzdem sollte Wendler in der 18. DSDS-Staffel noch einmal zu sehen sein, denn 13 Folgen mit dem 48-Jährigen waren bereits aufgezeichnet worden. Es gehe bei der Ausstrahlung auch um Fairness den Sängern gegenüber, über die Wendler damals entschieden habe, hatte RTL die Entscheidung begründet.

Danach war es ruhiger geworden um den Wendler, was RTL sicherlich in die Karten spielte. Am Dienstag allerdings – am Tag der Ausstrahlung der ersten Folge – berichteten mehrere Medien dann über einen Eintrag des Wendlers beim Messengerdienst Telegram. Zu lesen war dort: „KZ Deutschland??? Es ist einfach nur noch dreist was sich diese Regierung erlaubt!“. Auch ein Screenshot des Postings kursierte. Schließlich bestätigte Wendler seine „KZ“-Äußerung auf Instagram. Angeblich, so hieß es jedoch in seinem Statement, sei „KZ“ eine Abkürzung für „Krisen Zentrum“ gewesen. Das glaubte ihm natürlich niemand.

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Der verursachte Schaden muss begrenzt werden

Der Aufschrei nach Wendlers Äußerungen kreierte am Mittwoch einen so hohen öffentlichen Druck, dass dem Sender eigentlich keine andere Wahl mehr blieb. „RTL wird Michael Wendler komplett aus der Sendung schneiden“, stellte der Sender klar – „selbst wenn dabei für die Zuschauer sichtbare, dramaturgische Lücken entstehen.“ Man distanziere sich klar von Wenders Äußerungen, in denen er „Lockdown-Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben inmitten der Corona-Pandemie nun in nationalsozialistischen Kontext“ setze.

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Marken müssen die Initiative ergreifen und sofort reagieren

„Aufgrund der Extremsituation haben wir eine ganz andere Sensibilität für asoziale Verhaltens- und Kommunikationsweisen entwickelt“, erklärt der Marken- und Identitätsexperte Christopher Spall im Gespräch mit WELT. Das bekam zum Beispiel Adidas zu spüren, als sich der Sportartikelhersteller entschied, aufgrund der Corona-Schließungen keine Miete mehr für die eigenen Geschäfte zu zahlen. Ein Shitstorm wurde wohl erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. „Das war ein Super-GAU für den Ruf einer Vorzeigemarke“, sagt Spall.

Ähnlich gehe es nun dem Fernsehsender durch den Wendler-Skandal: „RTL wird die negative Reputation nicht los. Nach den ersten zweifelhaften Äußerungen von Wendler agierte der Sender noch nach dem Motto: ‚Das ist unsere Show, die lassen wir uns von einem Verschwörungstheoretiker nicht kaputt machen.‘ Das war zwar mutig, der Skandal wurde dadurch aber nur noch weiter aufgeblasen.

Was lernen wir daraus: Marken müssen in der heutigen Zeit bei solchen Fehltritten die Initiative ergreifen und sofort reagieren. Bevor die Shitstorm-Welle anrollt“, erklärt Spall. „Schauen, wie sich die Dinge entwickeln, wie vor Corona und vor dem Bedeutungsanstieg der Sozialen Medien, die Devise ‚Abwarten und Tee trinken‘ – das war mal.“ Am Ende müsse man rational kalkulieren, welcher Schaden größer sei: Auf der einen Seite der dramaturgische Schaden durch das Rausschneiden des Verschwörungstheoretikers. Auf der anderen Seite der Reputationsschaden für RTL als Ganzes. „Wenn wir diese Rechnung aufstellen, wird schnell klar, dass der dramaturgische Schaden das kleinere Übel ist“, sagt Spall.

Kaufland distanziert sich von seinem Testimonial Wendler

Vor ähnlichen Fragen stand auch der Discounter Kaufland, der ebenfalls durch Michael Wendler in Bedrängnis geraten war. Im Oktober vergangenen Jahres hatte Kaufland einen Werbespot mit dem Sänger gedreht. Sehr aufwendig, sehr teuer. Nach den ersten kritischen Wendler-Bemerkungen stoppte das Unternehmen die Kampagne sofort und ersatzlos und machte damit seinen Standpunkt deutlich. So gewann das Unternehmen in dieser schwierigen Lage sogar noch an Ansehen.

Marken müssen Haltung zeigen

Spall sieht zwei Komponenten, die von Marken derzeit erwartet werden: „Konsequent Haltung zeigen. Und das frühzeitig und aus eigenem Antrieb. Wenn das der Fall ist, gibt es einen Reputationsbonus. Reagieren Marken zu spät und auf Basis eines externen Drucks, wirkt selbst die mutigste Kehrtwende unglaubwürdig.“

Wie schwierig die sein kann, konnte im vergangenen Jahr bei „Uncle Ben‘s“ beobachtet werden. Der verantwortliche, amerikanische Mars-Konzern benannte die Marke um und nahm den dunkelhäutigen Mann von der Verpackung, der seit Gründung das Markengesicht war. Weil die abgebildete Person für die Sklaverei in den US-Südstaaten steht. Uncle Ben‘s vollzog diesen Schritt jedoch erst, als der Druck durch die „Black Lives Matter“-Protestbewegung zu groß geworden war. „Das war für Uncle Ben‘s ein Riesenschritt und hat trotzdem den guten Ruf belastet. Weil sie eben nicht aus eigenem Antrieb gehandelt haben. Die Reaktion war kein Ausdruck einer inneren Haltung“, sagt Spall.

Identitätsprüfung: Passt das Testimonial zur Marke

Durch die Pandemie hat sich laut Spall noch etwas geändert: Das Mantra „Aufmerksamkeit um jeden Preis“ gilt nicht mehr als verlässliche Maxime. „In dieser Zeit brauchen wir eine noch genauere Identitätsprüfung von Menschen und Marken, mit denen wir uns schmücken. Es reicht nicht zu schauen, ob der Typ eine hohe Bekanntheit hat. Das ist zu kurz gedacht“, sagt Spall. Mit seinem Abdriften in die Welt der Verschwörungstheoretiker hat Michael Wendler nicht nur seine Geschäftspartner in Schwierigkeiten gebracht, sondern sich selbst um eine florierende Karriere.

Die Relevanz „des Wendlers“ sei jedoch schon vor seinen Thesen darin begründet gewesen, dass er vor allem als Witzfigur funktioniere. Dadurch sei er überhaupt in Betracht gekommen, bei Kaufland als Testimonial oder bei DSDS als Juror zu fungieren. „Das ist die Rolle, die ihm zugeteilt war. Jetzt hat sich Michael Wendler innerhalb einiger Monate von der Witzfigur zum Reputationskiller entwickelt. Jetzt lacht bei RTL keiner mehr über Wendler“, sagt Spall. Denn nun wird jede Person und jede Marke, die mit ihm in Verbindung tritt, von der Öffentlichkeit abgestraft.

Aufmerksamkeit um jeden Preis zählt heute nicht mehr

„An Michael Wendler sieht man gut den Unterschied zwischen Bekanntheit und Attraktivität. Fast jeder in Deutschland kann mit dem Namen Wendler was anfangen, aber wer sich mit ihm identifiziert, verbindet sich nun nicht nur mit billigem Inhalt, sondern auch mit kruden Thesen“, sagt Spall.

Neben Wendlers eigener leidet wohl die Karriere seiner Ehefrau Laura Müller am meisten unter der Entwicklung ihres Mannes, denn die Influencerin verlor alle Werbepartner. „Daran sieht man, wie mächtig die Reputation ist. Vor den Ausfällen des Wendlers hat Laura Müller deutlich von ihm profitiert und so als Influencerin Werbepartner gefunden. Jetzt ist die Reputation vom Wendler im Keller und plötzlich hängt sie da eins zu eins mit drin“, sagt Spall.

Daran sieht man aber auch, dass die Öffentlichkeit nicht trennt und hinterfragt: Ist das jetzt auch die Haltung seiner Ehefrau? Die Öffentlichkeit urteile da viel gröber, erklärt Spall: „Daher muss man extrem vorsichtig sein, mit wem man kooperiert und vorher schon analysieren: Könnte mir das irgendwann auf die Füße fallen?“

Dass es aber ein Zurück in die Mitte der Gesellschaft für Ausgestoßene gibt, zeigt der Fall Uli Hoeneß. Der Ex-Manager des FC Bayern München befand sich auf dem Höhepunkt seines Skandals um Steuerhinterziehung, was die gesellschaftliche Ächtung angeht, in einer ähnlichen Situation wie jetzt Michael Wendler.

Der Weg zur Rehabilitation ist lang und steinig

Sein Weg zurück sei auch der einzige Weg für Wendler: „Zunächst der Kniefall vor der Öffentlichkeit, also das uneingeschränkte Eingeständnis des eigenen Versagens“, erklärt Spall. „Dann der völlige Rückzug aus der Öffentlichkeit, über einen längeren Zeitraum, mindestens zwölf Monate. Kein Twitter, kein Instagram, erst Recht kein Telegram. Und dann, ohne die Öffentlichkeit zu suchen, ein ehrliches Engagement auf der Basis der eigenen Werte.“ Dann sei es möglich, gesellschaftlichen Kredit zurückzuerlangen und den eigenen Ruf wiederzubeleben.

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Gesellschaftliches Engagement könnte Fehler vergessen machen

„Die Frage wird sein: Ist RTL in der Lage, diese strategischen Fehler vergessen zu machen, die im Umgang mit Michael Wendler gemacht wurden. Indem sie sich beispielsweise im Rahmen der Corona-Krise gesellschaftlich engagieren und so positive Geschichten schreiben. Also genau das Gegenteil dessen, wofür Michael Wendler steht“, sagt Spall. Noch kann Wendler aber weder von Telegram noch von Unwahrheiten und haltlosen Anschuldigungen die Finger lassen. So verbreitete er auch nach dem neuesten Skandal weiter Verschwörungstheorien rund um die Corona-Maßnahmen.

Das Interview führte Marcel Reich.

Bildquelle: Wikipedia / DIE WELT

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